Auszeit vom Berufsalltag – Schlaraffia in Remscheid

Jul 16, 2016 | Lebensfreude

Auszeit vom Berufsalltag?

Nein, ich schreibe hier nicht über einen Wellnesstempel, zumindest nicht über einen solchen von physischer Natur. Auf geistiger Ebene hingegen könnte man ihn schon als einen Ort des Wohlbefindens betrachten – jene Lokalität in Remscheid, wo sich an jedem Freitagabend im Winterhalbjahr die Mitglieder des „nutzlosesten Vereins“ treffen. So jedenfalls titulierte mein Freund die Schlaraffia, und er meinte damit augenzwinkernd, dass es dort „nur“ darum ginge, sich und den Freunden eine Freude zu machen. Mit Matratzen hat die Freude absolut nichts zu tun, wohl aber mit Entspannung, mit Erholung von einer arbeitsreichen Woche.

Hier nämlich, beim Eintritt in die „Burg“, wie die Remscheider Schlaraffen den Ort ihrer Zusammenkünfte nennen, geschieht etwas Phantastisches: Mit einer symbolischen Verbeugung vor einem „Uhu“ streifen sie den gesamten Stress der vergangenen Arbeitswoche ab! Unglaublich? Nein, so etwas geht wirklich, und das schon seit 157 Jahren. Die psychische Belastung im Berufsleben hat sich seither stetig erhöht, gerade deshalb ist dieser altehrwürdige Club aktueller denn je.

Stressfrei in 2 Stunden

Wie aber funktioniert das? Wie gelingt es, innerhalb von gut 2 Stunden – so lange dauern die Treffen der Schlaraffen im Schnitt – vom erschöpften Alltagskrieger zu einem heiter-entspannten, mit positiver Energie aufgeladenen Strahlemann zu mutieren, der seiner Liebsten am Wochenende sicherlich attraktiver erscheint als das müde Häuflein Elend, das sie zuvor in die Schlaraffia ziehen ließ?

Gleich vorweg, weder mit Esoterik noch mit Massagen hat es etwas zu tun. Dennoch ist Schlaraffia eine Art Zauberland, ein „Zauberland des Geistes“. Schlaraffia ist heiterer, geistiger Labsal und Balsam für die Seele. Für die Dauer ihrer Zusammenkünfte begeben sich die Schlaraffen in eine Art „Spielsphäre“, wobei es sich bei dem Spiel weder um einen Wettstreit noch um taktische Zockerei handelt. Es ist vielmehr ein Spiel, bei dem alle gewinnen, weil nämlich genau dies das Ziel des Spiels darstellt.

Die Ausrüstung für das Schlaraffische Spiel…

besteht aus nur drei Teilen: Kunst, Humor und Freundschaft.

Der schlaraffische Kunstbegriff umfasst alle Bereiche der Kunst, allerdings mit einem Unterschied: In Schlaraffia zeigt sich der Wert der Kunst nicht in erster Linie in der Virtuosität sondern darin, sie in den Dienst der Freude aller zu stellen – als Profi oder als Hobbykünstler, als Schaffender oder als Rezitierender.

Schlaraffischer Humor, das ist nicht der derbe Witz auf Kosten anderer, erst recht keine Zote. Vielmehr streben Schlaraffen die höchste Form des Humors an, nämlich die menschliche Größe, sich selbst und seine Schwächen zu persiflieren, sich nicht zu ernst zu nehmen.

Schlaraffische Freundschaft schließlich ist das edelste Gut des Bundes, der wertvollste Teil der Ausrüstung für das „Spiel“, welches in Wahrheit weit mehr ist als das, was der Begriff vordergründig vermittelt. Sie definiert sich zunächst als eine „Grundfreundschaft“ zu den weltweit über 9.000 Mitgliedern. Diese Grundfreundschaft ist gekennzeichnet durch aufrichtige Toleranz, durch grundsätzliches Wohlwollen dem Anderen gegenüber sowie Offenheit und Ehrlichkeit untereinander. Ja, dies sind Ideale, die wohl kaum jemand in Vollendung leben kann. Aber die Schlaraffen bekennen sich zumindest von ganzem Herzen dazu. Man kann nicht 9.000 „Freunde“ haben. Aber es entstehen in Schlaraffia viele Freundschaften, die dem Ideal sehr, sehr nahe kommen.

Wie aber kann dieses Spiel gelingen?

Wie kann ein sangesfroher kaufmännischer Angestellter in Gegenwart eines Opernsängers unbefangen ein Liedchen trällern, und die Zuhörer applaudieren ihm genauso wie diesem? Wie kann das Aquarell eines hobbymalenden Juristen, in der „Burg“ gleich neben dem Kunstwerk eines Berufsgrafikers präsentiert, die Betrachter gleichermaßen erfreuen? Wie kann das holprig vorgetragene aber aus tiefem Herzen entstandene Gedicht eines sanitären Installateurs die gleiche Anerkennung finden wie die wohlgesetzten Reime eines Journalisten? Und wie kann jemand, der nur still zuhört und zusieht, aber durch seine menschliche Wärme und seinen selbstironischen Humor leuchtet, ebenso beliebt und beachtet sein wie die charismatische Rampensau, welche die Zusammenkunft leitet?

Das Geheimnis habe ich bereits verraten. Mit der Verbeugung vor dem „Uhu“ haben alle Schlaraffen ihre „profane“ Identität abgelegt. Für die Dauer ihrer Zusammenkunft sind sie nicht mehr der Professor Dr. Müller, der Sachbearbeiter Schulze, der Studienrat Meier oder der Stadtinspektor Piepenbrink. Sie sind nun „Junker Gustav, der minimal Invasive“, „Ritter Zu, der ver-lässige“, „Ritter Fottenheuer, der Pausenschreck“ oder der „Ritter Schimmel, von Amts wegen“. Mit anderen Worten, sie haben ihre Rollen im „richtigen Leben“ gegen eine Rolle im schlaraffischen Spiel getauscht – eine Rolle, in der sie das sein können, was sie im beruflichen Alltag oft nicht sein dürfen: einfach nur Mensch.

Ritter Fix-Focus, der Stern vom Motorich